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Thorsten Berndt hat die Armut in der Nachbarschaft fotografiert. Bei
der Hamburger "Triennale der Photographie" zeigt der Fotograf der
analogen Schule seine konzentrierten Schwarz-Weiß-Portraits vom
Rand der Gesellschaft. Besuch bei einem Konservativen mit graumeliertem
Zopf
von elisabeth weydth, taz Hamburg 11.04.2008
Thorsten Berndt muss nicht nach Sao Paulo, um Armut zu erleben. Nicht
einmal auf den Hamburger Kiez. Er ist durch den Kreis Pinneberg
gestreift und hat mit seiner Hasselblad die Armut vor seiner Tür
fotografiert. 21 Gesichter, die den Betrachter mit erstaunlich
aufgeweckten Augen ansehen, hat er ihr gegeben. Die Anmut der Armut
blickt einen an, ein scheuer Stolz.
Berndts Schwarz-Weiß-Fotos "Lieblingsplätze - Portraits
zwischen Armut und Obdachlosigkeit" sind ab morgen bei der vierten
"Triennale der Photographie" in Hamburg und Umgebung zu sehen. Das
zehntägige Festival mit Ausstellungen, Workshops und Symposien
beginnt heute und zeigt auch Arbeiten international bedeutender
Künstler wie F. C. Gundlach, dessen Retrospektive heute in den
Deichtorhallen eröffnet wird.
Thorsten Berndt ist gespannt, wie seine Ausstellung ankommt. Die Bilder
im Museum Langes Tannen in Uetersen werden nicht die lautesten im
großen Fotozirkus der Triennale sein. Berndt interessiert sich
nicht für das Spektakuläre, sondern für die Geschichten
derer, die er fotografiert. "Diesen Menschen hat das Leben übel
mitgespielt: Schulden, plötzlich arbeitslos und dann obdachlos",
erzählt der Fotograf. "Eine Frau hat zwei Jahre in ihrem Auto
gelebt!"
Der große Mann mit graumeliertem Zopf, Jeans und Wanderschuhen
dreht seine Hornbrille zwischen den Fingern und schaut in die
Osterglockenidylle vor dem Museum. Man versteht, warum der Blick der
Menschen auf den Fotos so offen ist. Berndt gelingt es mit einer
unaufgeregten Art, eine Verbindung zu seinem Gegenüber aufzubauen.
Die Portraitierten fühlten sich von ihm, der Uetersen mit einem
bedeutungsschwangeren "Heimat" bezeichnet, nicht ausgestellt oder
inszeniert. "Das sind Menschen wie du und ich. Wenn du sie triffst,
merkst du gar nicht, in welch ärmlichen Verhältnissen die
leben."
Thorsten Berndt hat diese Menschen an ihren Lieblingsplätzen
fotografiert. Ein Foto zeigt zum Beispiel Peter Vogt, der sich gerne in
der Pinneberger Fußgängerzone aufhält. Da sitzt er und
sieht von seiner Kaffeetasse auf. Marion Steffen und ihr Sohn Yannik
stehen auf einem anderen Foto an der Elbe in Wittenberge und
bändigen ihren bellenden Hund.
"Das macht einem schon Angst, wenn man sieht, wie schnell der Abstieg
kommen kann", sagt Berndt, der zuvor von seinem "gebrochenen
Lebenslauf" erzählt hat, und dass er nie in einem
Nine-to-Five-Bürojob arbeiten könnte. Darum hat sich nach
einer Ausbildung zum Fotografen und einigen Jahren "Luststudium
Soziologie" ins unstete Feld der freiberuflichen Kreativen gewagt. "Ich
wechsle gern zwischen Standbein und Spielbein, seh' mich aber definitiv
als Künstler."
Sein momentanes Standbein ist die Politik. Er arbeitet für den
Grünen-Bundestagsabgeordneten Rainder Steenblock. Was er genau
tut, darüber schweigt er sich aus. "Das hat mit meinen Bildern
nichts zu tun." Seine politische Sensibilität - er ist seit 20
Jahren bei den Grünen - aber schon: "Als Fotograf ist man auch
politisch, klar. Man positioniert sich."
Bei seiner Fotoserie war es ihm wichtig, "Menschen, die wir sonst
übersehen, in den Mittelpunkt zu setzen", wie er sagt. Zu diesem
Zweck hat er sie in quadratischen Doppelportraits fotografiert. Das
eine Bild zeigt in einem engen Ausschnitt das Gesicht, das andere den
Menschen an seinem liebsten Ort - schwarz-weiß und "ohne
Firlefanz", wie er sagt. Denn Farbe übertünche oft das
Wesentliche.
Thomas Berndt läuft die Reihen der Gesichter im Museum ab. "Ich
bin da sehr konservativ", sagt er. "Und das mein ich jetzt nicht
negativ."
Berndt ist ein Mann der alten Schule, der nur analog fotografiert und
die Bilder im eigenen Schwarzweiß-Labor entwickelt. Für ein
früheres Projekt fuhr er mit einer selbst gebauten
Panorama-Lochkamera - einer begehbaren Camera Obscura - vier
Sommermonate lang im Bauwagen durch Schleswig-Holstein und brachte
weiche Bilder aus einer anderen, langsameren Weltzeit mit. Derzeit
zieht er mit dieser Lochkamera durch die Stadt und fotografiert
für seine neue Idee "Hamburger Streifen", auch diese sind
schwarzweiß.
Konservativ sei er, oh ja, aber nicht mehr "ideologisch verbrämt."
Er sagt dieses seltsame alte Wort und grinst wie über eine
Lausbubengeschichte. Ideologisch, das sei er früher mal gewesen.
Da wollte er aus Prinzip keine Menschen fotografieren, weil er der
Ansicht war, es sei unmöglich, deren Facetten in nur einem Bild
darzustellen. "Aber man verändert sich, die Welt verändert
sich", sagt Berndt. "Das ist ja das Schöne am Leben."
In seiner Ausstellung in Uetersen sind von ihm überhaupt nur Fotos
von Menschen zu sehen. Berndt hat seine eigene These widerlegt: Man
kann in seinen Portraits Facetten erkennen, und die Leerstellen kann
man mit der eigenen Vorstellungskraft füllen, so das man sich
unwillkürlich fragt, welche Geschichten diese Leute wohl erlebt
haben.
Obwohl Thorsten Berndt ein Fotograf der alten Schule ist, hat er nichts
gegen digitale Bilder. "Ach, die Bilderschwemme find ich toll, da
stechen meine ja raus." Das sagt er ganz konzentriert, und es klingt
weder großkotzig noch ironisch. Angst scheint der Fotograf keine
zu haben. "Naja, Sicherheit", das sei ja auch so eine Definitionssache.
Dafür habe er sein Standbein.
Was sein nächstes Spielbein sein wird, weiß er noch nicht.
Aber einen großen Traum hat er noch, und als er davon spricht,
kommt wieder dieses Lausbuben-Grinsen: "ein Roadmovie in
Schwarz-Weiß!"
Mit den Schuhen im Schlick
Der Uetersener Fotograf Thorsten Berndt widmet sich der Marsch
von jan schütte, extrablatt marscher No.2/04
Kraftvoller Händedruck, die Haare vom Sturm in die Höhe
geblasen, ein forschender Blick aus dem friesischen Gesicht und die
große Gestalt steckt voller Tatendrang. "Ein paar Fotos hab ich
schon, wollen wir gleich noch mal los?" Klar wollen wir das. Ein kurzer
Seitenblick auf die schlammverschmierten Turnschuhe des Fotografen
lässt mich zu meinen dickenn Wanderstiefeln greifen. Wenn Thorsten
Berndt gute Bilder schießen will, ist ihm das Klagegeschrei
seines Schuhwerks wurscht. Wir sind unterwegs, für die neue
Fotoreihe "Marscher". "
Ein gutes Einzelfoto kann jeder machen. Aber
eine Serie. Das ist die Kunst. Ein Motiv von vielen Seiten zeigen, das
ist eine Herausforderung." Inzwischen sind wir an meinem Lieblingsplatz
an der Krückau angekommen. Thorsten Berndt stürzt sich sofort
hinunter ans Wasser. Seine Turnschuhe irgendwo zwischen spitzen
Ufersteinen und Schlick verwühlt, hat er schon seine kostbare
"Hasselblad"-Kamera gezückt. Die Augen wandern prüfend
über die Kopfweidenkulisse am Ufer. "Andere Leute denken, in der
Marsch gibt´s nix zu fotografieren. Is' doch alles nur platt. Das
ist aber ein großer Irrtum." Dem kann ich natürlich nur
beipflichten und taste mich vorsichtig mit meinen Wanderschuhen zu ihm
herunter, um den Jäger auf frischer Tat meinerseits abzulichten.
Zu spät.
"So, das hab' ich drin", meint der Profi und hangelt
schon wieder zum nächsten Aussichtspunkt. Der letzte Streifen Rot
ist aus den Schuhen entwichen und die Marsch arbeitet sich die Hose
hoch. "Seit zehn Jahren habe ich nicht mehr in der Marsch fotografiert.
Und eine Friesenkate bei Sonnenuntergang ist natürlich nicht mein
Ding." Leuchtet mir ein, wenn ich an seine letzten Projekte denke: die
kargen Bilder von Helgoland, die strengen Portraits der Mitarbeiter von
Stora Enso in Uetersen, mit denen er den europäischen
Schwarzweiß-Wettbewerb von "human work" gewann oder
natürlich die große Tour mit Trecker und Bauwagen durch
Schleswig-Holstein. "Camera Obscura" hieß das Projekt. Thorsten
Berndt hat einfach ein Loch in den Bauwagen gebohrt und dann eine
Fotoplatte dahinter gehalten. Stoische Kühe gucken dem Betrachter
von den Bildern entgegen - die optimalen Motive bei der Belichtungszeit
dieser Kamera. Überhaupt hat er einen Hang zu altem Fotomaterial.
In seinem großzügigen neuen Atelier bestaune ich eine 100
Jahre alte Plattenkamera. "Ja, das wird eine neue Serie", erklärt
Berndt. "Willst du auch drauf? Musst allerdings fünf Minuten
stillhalten und ganz dicht drangehen." Die Ergebnisse von diesen
altertümlichen Fotos liegen frisch abgezogen auf der Fensterbank:
Schonungslose Porträts, Gesichter von heute aufgenommen mit der
Zeit eines anderen Jahrtausends. Sie wirken wie eingefroren und legen
dabei tiefere Seelenschichten frei. Ich scheue dieses Experiment und
streife lieber noch etwas durch sein neues Studio, genieße diese
Atmosphäre zwischen Atelier und Ausstellung, blättere in
Katalogen seiner Helgoland-Serie und knabbere ein paar Kekse zum Tee.
"Die Leute, die hier her zum Porträtieren kommen, sollen etwas
Besonderes kriegen. Nicht das schnelle Bild." Das spüre ich. Es
ist eben kein Fotoladen. Es ist das Atelier eines Künstlers, der
verdammt neugierig auf Menschen ist. Der sich einen Raum geschaffen
hat, in dem er konzentriert arbeiten kann, aber auch plaudern und
ungestört Musik hören, in dem neue Projekte entstehen
können und alte Sachen ausgestellt werden - und, in dem man in
Ruhe den Schlamm von den Schuhen kratzen kann, bis die rote Farbe
wieder rausguckt.